Die Geschichte vom Suppenteller
DIE GESCHICHTE VOM SUPPENTELLER
Eine Frau geht in einem Stehcafé zum Mittagessen. Sie holt sich einen Teller Suppe und bringt diesen vorsichtig zu einem Stehtisch. Sie stellt den Teller Suppe ab, hangt die Handtasche unter den Tisch, und merkt dann, dass sie ihren Löffel vergessen hat. Sie geht also zurück zur Theke, holt sich einen Löffel und dazu eine Serviette, die sie auch vergessen hatte. Dann geht sie wieder zu ihrem Tisch und zu ihrem großen Erstaunen steht da ein Mann am Tisch und löffelt fleißig ihre Suppe. Er ist kein Deutscher, nicht blond und hat keine blauen Augen, sondern dunkel, aus Italien oder aus Griechenland oder vielleicht aus der Türkei? Er kann kein Deutsch, wie sich herausstellt, sodass sie sich nicht mit ihm verständigen kann. Und der löffelt ihre Suppe!
Zuerst ist sie völlig erstaunt, sprachlos. Dass so etwas möglich ist! Dann, zehn Sekunden später, ist sie nur noch wütend. Und wieder zehn Sekunden später hat sie sich zusammengerafft und denkt: „Er ist wirklich frech, ich aber auch.“ Mit dem Löffel in der Hand geht sie an den Tisch und fängt auf der anderen Seite an, aus demselben Teller zu essen. Man würde denken, der Mann wird sich wohl entschuldigen. Weit gefehlt. Der isst ruhig weiter, lächelt das ist seine Waffe, er lächelt und ist freundlich, aber er lasst sich nicht beeinflussen. Und dann der Gipfel: Er gibt ihr die Hälfte ihres eigenen Würstchens! So beenden die beiden ihre gemeinsame Mahlzeit. Am Ende reicht er ihr noch die Hand, und inzwischen hat sie sich so weit beruhigt, dass sie die Hand annimmt.
Er geht weg, und sie will ihre Handtasche nehmen, aber diese ist verschwunden. Das hat sie sich doch von Anfang an gedacht: Er ist ein Gauner, ein frecher Dieb jetzt hat er auch noch ihre Handtasche gestohlen. Sie rennt zur Tür, aber er ist weg. Nun sieht es wirklich schlimm aus, denn in der Handtasche sind Führerschein, Geld, Kreditkarte usw. Alles weg. Dann schaut sie sich noch einmal um. Auf dem Tisch nebenan steht ein Teller Suppe. Er ist inzwischen kalt geworden. Darunter hängt ihre Tasche!
Sie hatte keinen Augenblick daran gedacht, dass es möglich wäre, dass nicht er, sondern dass sie sich geirrt haben konnte. Aus: Piet van Breemen: Was zählt ist Liebe.
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